Der slowenische Hafen Luka Koper soll zur Endstation der Neuen Maritimen Seidenstraße werden. Trotz Rückständen bei der Infrastruktur ist der Hafen für China von großem Interesse, da er Zugang zu den Binnenländern in Mitteleuropa ermöglicht – dazu gehört auch Österreich. Koper ist der wichtigste Hafen der Alpenrepublik. Dort finden diese Pläne trotz der enormen Relevanz wenig Beachtung.
Von Ludmilla Reisinger, Matteo Eichhorn, Nikolaus Fink, Christian Albrecht und Max Tenschert
Luka Koper steht still. Trotzdem ist die Hölle los. Mateja Dominko aus der Presseabteilung ist außer Atem, als sie zu spät zur Hafenführung kommt. “Heute läuft aber auch nichts nach Plan”, seufzt Dominko. Sie musste kurzfristig für ihren Chef Sebastjan Šik einspringen. Der Sprecher des Hafens Koper hat gerade Besseres zu tun, als eine Gruppe von Nachwuchsjournalisten durch die Terminals zu führen. Ein Zug ist entgleist: für den Mehrzweckhafen an der slowenischen Mittelmeerküste eine mittlere Katastrophe. Nur eine einzige Bahnstrecke verbindet Sloweniens internationalen Seehafen mit den mitteleuropäischen Binnenländern. Und das, obwohl mehr als die Hälfte der Ladung per Zug bis nach Mittel- und Osteuropa weitertransportiert wird. Über sieben Millionen Tonnen Ware bezieht Österreich aus Koper, eine Zahl, die sich im letzten Jahrzehnt versechsfacht hat. Seit 2010 ist Koper damit der wichtigste Hafen für Österreich: Die Hälfte des österreichischen Containervolumens läuft durch den Hafen Sloweniens, der damit noch vor den viel größeren Nordseehäfen wie Hamburg und Rotterdam liegt.

Doch im Gegensatz zu diesen gibt es in Koper erst seit 62 Jahren einen Hafen. Vor dem Zweiten Weltkrieg war Koper noch ein mehrheitlich italienisches, verschlafenes Fischerdorf. Heute erinnern noch nur zweisprachige Straßenschilder an diese Zeit. Mittlerweile ist alles anders: Die Italiener sind fast gänzlich aus der Stadt verschwunden, anstatt kleiner Fischerboote laufen tonnenschwere Containerschiffe in den Hafen ein. Dieser Aufschwung begann im Jahr 1957. Um die slowenische Teilrepublik für den winzigen Meerzugang und den Verlust des wichtigen Hafens Triest zu entschädigen, investierte Tito in ein ambitioniertes Projekt: Der Hafen in Koper sollte zum Konkurrenten des übermächtigen Nachbarn werden. Innerhalb von nur 50 Jahren gelang es, die traditionsreiche Hafenstadt zu überflügeln, vor allem im lukrativen und stark wachsenden Containermarkt.
Allein in den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Container in Koper um 150 Prozent gestiegen. Im Jahr 2006 gelang ein symbolträchtiger Erfolg: Erstmals wurden in Koper mehr Container verschifft als im größeren Hafen in Triest. Grund dafür ist eine Trendwende in der Schifffahrt. “Früher kamen Bananen auf eigenen Schiffen, den sogenannten Bananeras. Heute wird alles in Containern transportiert, sogar Autos. Wir in Koper haben früh auf die richtige Transporttechnik gesetzt”, sagt Mateja Dominko. Dank der Container gestaltet sich der weitere Transport nach Mitteleuropa deutlich einfacher. Wie Lego-Bauklötze kann die Ware in kürzester Zeit vom Schiff auf einen Güterwagon oder LKW verladen werden.

Size matters
Im Stückgut-Terminal fahren dutzende LKW, nun in erhöhter Frequenz als Ersatz für die Bahnverbindung. “Das ist die Hauptstraße des Hafens. Hier findet man alles, was in eine Kiste passt: Kaffee, Papier, Reis”, erklärt Dominko. Zwölf Hafenkräne helfen bei der Beladung der Frachtschiffe, gerade wird im ersten von drei Becken das maltesische Containerschiff “A. Obelix” beladen. Es ist ein kleines Schiff mit einer Maximalladung von 23 831 Tonnen, das sind in etwa 7113 Hinkelsteine. Solch “kleine” Schiffe werden im Verkehr immer seltener und zunehmend durch größere Frachter ersetzt: Auch in Koper wird mit immer weniger Schiffen immer mehr Ware transportiert.
Ein Teil davon wird im Warenhaus für verderbliche Güter gekühlt aufbewahrt. Einige Arbeiter in Warnwesten kümmern sich um frische Trauben. “In Ägypten hat gerade die Traubensaison begonnen”, sagt Dominko. Hier wird der größte Vorteil des Hafens Koper deutlich: Güter aus Asien und Nordafrika haben einen viel kürzeren Transportweg. Schiffe mit den Zielhäfen Rotterdam oder Hamburg müssen erstmal durch die Straße von Gibraltar und somit ganz Europa umschiffen. Das dauert eine Woche länger, als in Koper anzulegen und die Ware über Güterzüge weiterzutransportieren. Gerade bei verderblicher Ware ein entscheidender Vorteil der Nordadriaregion. Heute importiert China 36 Mal mehr zeitkritische Güter in Koper als noch vor zehn Jahren.
Der durchschnittliche Inhalt eines chinesischen Containers in Koper
Koper ist für China auch in anderen Bereichen enorm wichtig. Hier kommen jährlich Güter im Wert von 2,6 Milliarden Euro an. Im März unterzeichnete der Hafen Koper eine Unterstützungserklärung für die Belt & Road Initiative, auch bekannt als die “Neue Seidenstraße”. Der Wert des Projekts wird auf 3,7 bis 7,3 Trillionen Euro geschätzt. Damit ist es das größte Infrastrukturprojekt der Gegenwart. Dieses umfasst nicht nur neue Eisenbahnverbindungen sondern auch einen schnelleren Seeweg von China nach Europa. Denn die Volksrepublik braucht neue Exportziele, um weiter zu wachsen. Schon in zwei Jahren könnte China der wichtigste Handelspartner für Slowenien werden. Doch Koper ist darauf nicht ausgelegt: Nach einer Studie des International Economic Forum erreicht die Infrastruktur in Koper nur knapp noch ein Befriedigend. Dagegen erzielen Häfen wie Rotterdam oder Singapur auf der Schulnotenskala mit 1,1 fast die Bestnote.
Ohne Investitionen kein Wachstum
Besonders große Rückstände gibt es bei der Eisenbahn. Koper setzt – anders als das italienische Triest und das kroatische Rijeka – beim Transport auf die Schiene: In Koper werden rund 60 Prozent der Frachten mit Güterzügen weitertransportiert, bei den Mitbewerbern der Adria sind es nur 30 bis 35 Prozent. Das macht Koper als Warenumschlagplatz so interessant: Auf den Schienen gibt es keine Staus, Güter kommen billiger, umweltfreundlicher und zuverlässiger ans Ziel. Wird die Nabelschnur des Hafens jedoch wie heute durch einen Unfall gekappt, stecken die Waren im Hafen fest: ein Risiko für Handelstreibende. Die Güter können nur zum Teil auf LKW umgeladen werden, der Rest strandet im Hafen. “Das ist wirklich das Einzige, was wir tun können. Die zweite Eisenbahnanbindung ist für den Hafen überlebenswichtig. Ohne sie wird er nicht weiter wachsen können”, sagt Mateja Dominko.

“Bis 2025 wird es eine zweite Gleisanbindung geben”, verspricht Žiga Fišer, der als strategischer Direktor für die Zukunft des Hafens verantwortlich ist. Sein Büro, so etwas wie das Gehirn des Hafens, liegt direkt neben der Einfahrt zum Frachtbereich. Über 800 LKW mit Containern aus aller Welt fahren hier täglich ein und aus. Die Zukunft sieht Žiga Fišer eindeutig in Fernost: “China ist ein sehr wichtiges Land für uns. Es ist in den letzten Jahren enorm gewachsen. Die Nachfrage nach Waren aus Europa wird dort jedes Jahr größer, China hat also einen starken Einfluss auf Koper.”

Angeblich zeigt die Volksrepublik sogar Interesse daran, den Hafen von der slowenischen Regierung abzukaufen und ihn wie Piräus zu einem wichtigen Umschlagspunkt zu machen. Privatisierungspläne sind für den Hafen Koper nichts Neues: Es gab schon seit dem Zerfall Jugoslawiens in Krisenzeiten immer wieder die Idee, den Hafen für Investoren zu öffnen. Für Žiga Fišer kommt das nicht in Frage: “Die Konzession bleibt in Besitz der Republik Slowenien. Wir können ehrlich sagen, dass wir nicht aufgekauft werden können. Wir haben einige andere Möglichkeiten der Zusammenarbeit, aber nicht im Sinne von: China kommt hierher und investiert.”
Bei den Chinesen
Auf der anderen Seite des Hafens schwanken ein paar rote Lampions eines chinesischen Restaurants im Wind der Bora. Direkt darüber befinden sich, hinter einer unscheinbaren Milchglastür versteckt, die Büros von China Cosco Shipping. Das Unternehmen ist umstritten, die Reederei gilt als mächtiger Arm der kommunistischen Partei am Welthandelsmarkt. In der Öffentlichkeit bekannt wurde Cosco für die stark kritisierte Übernahme des griechischen Hafens Piräus. In den Räumlichkeiten in Koper sehen Besucher sofort einen riesigen Container mit chinesischen Schriftzeichen, der als Empfangstresen dient. Hier empfängt Sebastjan Žagar seine Handelspartner. Er ist Manager der wichtigsten mitteleuropäischen Niederlassung der chinesischen Reederei: “Koper wird für Cosco immer der wichtigste Hafen für die Ankunft von Gütern bleiben. Seit unseren Anfängen in Koper haben wir jedes Jahr mehr verladen. Hinter uns steht ganz Asien.“

Manchen geht dieser Einfluss zu weit. Mittlerweile ist bereits jeder zehnte Container in Koper von Cosco. Žagar, selbst Slowene, relativiert die Aufregung rund um das Seidenstraßenprojekt: “Ich denke, viele nehmen das falsch wahr, sie verstehen das Konzept dahinter nicht. Es sind nicht Chinesen, die für chinesische Firmen arbeiten, das sind Arbeitsplätze für Slowenen!” Tatsächlich arbeitet in diesem Büro kein einziger Asiate.

Bei einem Blick aus Žagars Bürofenster sieht man ein buntes Meer an Containern. Vor der Kulisse des slowenischen Karstgebirges werden sie von Maschinen verladen, die an den Animationsfilm Robots erinnern. Orangefarbene Gabelstapler fahren unermüdlich die Reihen ab. Mateja Dominko erinnert das an ihren ersten Arbeitstag: „Als ich zum ersten Mal durch den Hafen geführt wurde, war ich total fasziniert. Dieses Gewusel ist schwer zu durchschauen, aber alles hat seinen Platz.” Tausende graue Aluminiumbarren warten darauf, aufgeladen zu werden. Mindestens genauso viele Paletten Bauholz bringen Farbe ins Spiel. Denn die Bretter werden in den Lagerhäusern blau, rot und grün angesprüht. So ist auf den ersten Blick ersichtlich, welchem Partner die Bretter gehören. Das blau angesprühte Holz wird etwa von der Wiener Reederei Vesely Timber verschifft. Schon seit 1946 exportiert der Familienbetrieb österreichisches Bauholz in Länder wie Algerien und Libyen.
“In Koper krankt es am Management”

Inhaber Alfred Vesely kann dem Seidenstraßenprojekt persönlich einiges abgewinnen. Dennoch hält er chinesisches Investment für unwahrscheinlich. Dieses werde sich wohl auf den Nachbarhafen Triest konzentrieren. Alfred Vesely ist mit Koper als Standort unzufrieden, mangels einer besseren Alternative und Umzugskosten im sechsstelligen Bereich wird die Reederei wohl dennoch in Koper bleiben. Er kritisiert die strategische Ausrichtung des Managements, zu dem auch Žiga Fišer gehört: “Ich kenne niemanden, der damit glücklich ist. Die Politik spielt dort mit: Kommt eine neue Partei an die Macht, wird auch das Management gleich ausgetauscht. Das ist ein altkommunistisches System!”
Außerdem kritisiert Vesely den fehlenden Wettbewerb zwischen den Terminals. Anders als bei den meisten Handelshäfen in Mitteleuropa sind diese in Staatsbesitz, ein Erbe aus der Zeit Jugoslawiens: “Da heißt es dann entweder zahlen oder gehen. Allein das Lagergeld in Koper wurde in den letzten Jahren massiv erhöht, teilweise um bis zu 2000 Prozent.” Ein weiteres Problem sei der Fachkräftemangel: “In den Jahren der Krise hat man die Leute entlassen und jetzt findet man keine mehr. Früher hat unser Schiff in eineinhalb Tagen geladen. Heute brauchen wir mitunter eine Woche dafür, weil es keine Arbeiter gibt.”

Davon ist auf den Straßen des Hafens nichts zu bemerken: Auf den improvisierten Kreisverkehren warten dutzende LKW nur darauf, ihre Waren ans Ziel zu bringen. Diese werden heute aufgrund des Zugunfalls zu spät ankommen. Mateja Dominko von der PR-Abteilung umschließt ihr Klemmbrett fest, während sie ihre Hafenführung mit Statistiken beendet. Immer wieder blickt sie auf ihr Handy, sie wird heute noch dutzenden Händlern erklären müssen, warum ihre Waren im Hafen feststecken. Sie seufzt: “We do our best.”
Hafengespräche
Interview mit Sebastjan Žagar: “Hinter uns steht ganz Asien”
Interview mit Žiga Fišer: “China ist ein sehr wichtiges Land für uns”
Interview mit Alfred Vesely: „In Koper krankt es am Management“