Wahlverdruss durch Reformpartnerschaft

Mit der „Reformpartnerschaft“ haben die steirische Volkspartei und die steirischen Sozialdemokraten 2010 einen bedeutenden Schritt gewagt. Mit diesem Zeichen versprachen sie, weg vom langjährigen zwischenparteilichen Kampf und mehr hin zu gemeinsamer Leistung für Land und Leute zu kommen. Nun, fünf Jahre später, sehen die Reformpartner den damaligen Schritt durchwegs positiv: „Ich glaube nach wie vor, dass die Menschen froh sind, dass es diese Art und Form der Politik auch gibt und man sich nicht gegenseitig in der Öffentlichkeit die Birne einschlägt, sondern im Hintergrund arbeitet und Dinge gut vorbereitet“, meint Detlev Eisel-Eiselsberg, Landesgeschäftsführer der StVP.

Weniger Gemeinden durch Fusionen

Eine der größten Projekte dieser Partnerschaft war die steirische Gemeindestrukturreform. Als im Jahr 2010 die neue Legislaturperiode begann, hatte die Steiermark 542 Gemeinden, was sie zum österreichischen Bundesland mit der kleinteiligsten Gemeindestruktur machte. Im Zuge einer systematischen Zusammenlegung von Gemeinden, deren geographische Strukturen bereits miteinander verwachsen waren, und solchen, bei denen es aus organisatorischen Gründen Sinn machte, wurde die Anzahl der Gemeinden auf 287 reduziert. „Ich glaube schon, dass die Zusammenlegungen berechtigt waren in dieser Zeit“, konstatiert Wolfgang Raback, Geschäftsführer der Grünen. „Man muss nur einmal aus der Luftperspektive auf Gemeinden schauen, wo Strukturen sind, die nicht mehr rechtfertigen, dass ich fünf Kirchtürme und Gemeindeämter habe. Etwa in Öblarn hat es ja auf einem Platz drei Gemeindeämter gegeben. Und ich glaube schon, dass es notwendig ist, da zu optimieren.“

Durch die Reform erhöhte sich die durchschnittliche Einwohnerzahl pro Gemeinde von 1.754 auf 3.293 und liegt dadurch sogar über dem österreichischen Durchschnitt von 2.840 Einwohner pro Gemeinde. Versprochen wurden dabei vor allem Kosten- und Steuervorteile. Vielerorts stellten sich die erwarteten Effekte jedoch nicht in erwartetem Ausmaß ein. Grund dafür war laut Wolfgang Raback vor allem auch, dass im Vorfeld keine konkreten Daten erhoben wurden, um die Effekte exakt vorauszusehen. „Wir sehen ja auch heute noch im politischen Arbeiten, dass sie teilweise noch immer nicht wissen, was die einzelnen Zusammenlegungen bringen und dass die Dinge, die man sich erwartet hat, nicht zu heben sind zum Teil. Da waren die anderen meiner Meinung nach naiv. So geht man ein Projekt nicht an. Das wäre so, wie wenn ich in einem Unternehmen budgetäre Probleme habe und als Maßnahme nehme ich eine Wand heraus und lege zwei Büros zusammen. Da kann ich mir auch nicht erwarten, dass sich meine Ertragslage deutlich verbessert. Da muss ich mir schon Gedanken machen, welchen Nutzen ich davon habe und was ich dazutue, damit es mir was bringt“, erklärt Raback.

Auch in der Bevölkerung führte die Fusion verschiedener Gemeinden vielerorts zu Unzufriedenheit. Wie sich diese Unzufriedenheit letztendlich ausgewirkt hat, sieht man klar an den Ergebnissen der Gemeinderats- und Landtagswahl 2015. In beiden Fällen ging die Wahlbeteiligung gegenüber den letzten Wahlen 2010 zurück. In Hinblick auf die Landtagswahlen etwa gab es die niedrigste Beteiligung der letzten 35 Jahre. Eisel-Eiselsberg sieht als Grund für diese Entwicklung aber vor allem Unzufriedenheit mit der Bundesregierung. Zwei Drittel der Steirerinnen und Steirer würden das, was die Reformpartnerschaft gemacht hat, als gut und richtig empfinden, meint er. „Ohne da jetzt irgendeine Schuld von uns zu weisen, ich bin wirklich davon überzeugt, dass ein maßgeblicher Anteil an diesem Minus Bundespolitik ist und ein latentes Unbehagen mit der Bundespolitik. Das hat zu uns durchgeschlagen“, sagt der steirische Landesgeschäftsführer der Volkspartei.


Auf diesen beiden Karten ist zu sehen, welche Bezirke und Gemeinden sich gegenüber den letzten Wahlen in Hinblick auf die Wahlbeteiligung wie verändert haben.

(Unter „Visible layers“ kann die Landtagswahlkarte ein- oder ausgeblendet werden, um die darunterliegende Gemeinderatswahlkarte sichtbar zu machen. Somit ist auch schnell sichtbar, wie die Veränderung der Gemeinden zwischen Gemeinderatswahlen und Landtagswahlen ist.)

Angegeben sind dabei die Wahlbeteiligungen der Wahlen 2010, die Wahlbeteiligungen der Wahlen 2015, sowie die jeweilige Differenz dieser beiden Wahlen. Je nach Entwicklung sind die einzelnen Gemeinden dabei in verschiedenen Abstufungen rot oder grün eingefärbt. Dabei zeigt sich, dass in überdurchschnittlich vielen steirischen Gemeinden die Wahlbeteiligung zurückgegangen ist.

Auffallend ist jedoch, dass die Wahlbeteiligung besonders in jenen Gemeinden, die im Zuge der Gemeindestrukturreform fusioniert wurden, zurückging. Im Großen und Ganzen ging hier die Beteiligung deutlich stärker zurück als in den nicht fusionierten Gemeinden desselben Bezirks. Im Bezirk Murtal etwa sank die Wahlbeteiligung in den fusionierten Gemeinden im Durchschnitt um 4,55 Prozentpunkte, während sie in den nicht fusionierten Gemeinden nur um 2,72 Prozentpunkte fiel. Im Bezirk Murau stieg sie in den nicht fusionierten Gemeinden gar um 1,46 Prozentpunkte und sank in den fusionierten Gemeinden gleichzeitig um 2,72. Spitzenreiter bei den Landtagswahlen ist die Gemeinde Jagerberg mit einem Wahlbeteiligungsminus von 10,72 Prozentpunkten. Bei den Gemeinderatswahlen schaffte Leibnitz sogar -13,16 Prozentpunkte.


 

Betrachtet man den durchschnittlichen Rückgang der Wahlbeteiligung in den einzelnen Bezirken, so fällt auf, dass die Wahlbeteiligung in fast allen Bezirken in jenen Gemeinden, die im Zuge der Reform fusioniert wurden, deutlich stärker zurückgegangen ist als in den nicht fusionierten Gemeinden. Deutlicher Ausreißer hier ist Leoben. Grund dafür ist aber, dass hier nur eine fusionierte Gemeinde (Trofaiach) 15 nicht fusionierten Gemeinden gegenübersteht und Trofaiach in diesem Fall einen starken Zuwachs verzeichnet.

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Um Ausreißer zu eliminieren und dadurch die Aussage genauer zu machen, wird hier ebenfalls der Median der Werte angegeben. Sonderfall ist wieder Leoben mit nur einer fusionierten Gemeinde, die 15 nicht fusionierten Gemeinden gegenübersteht. Auffallend ist jedoch auch hier, dass in den nicht fusionierten Gemeinden der Gang zur Wahlurne deutlich leichter fiel. Dadurch lässt sich ableiten, dass sich die Gemeindefusionsreform auf die Wahlbereitschaft der Bevölkerung niedergeschlagen hat und Menschen, die in einer fusionierten Gemeinde leben, tendenziell weniger wählen gehen.

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Dies zeigt deutlich, dass hier nicht nur ein „latentes Unbehagen mit der Bundespolitik“ durchschlägt, sondern sich vielmehr eine klare Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem zentralen Projekt der Reforpartnerschaft auswirkt.

Durch das Fehlen von Information war  die Bevölkerung vielerorts unzufrieden mit der Entscheidung der Politik. Auch wurden die betroffenen Menschen wenig in den Prozess miteinbezogen. „Was uns gefehlt hat bei den Fusionen sind zwei Dinge. Erstens, konkrete Zahlen, Daten und Fakten. Was bringt´s wirklich? Und das zweite, was uns gefehlt hat, ist die Beteiligung. Also die Einbeziehung der Menschen da draußen. Das geht aber auch nur dann, wenn ich vorher den Nutzen erklären kann. Und deswegen haben sie das ja auch vermieden, in vielen Fällen, Bürgerbeteiligung zu machen. Einige Gemeinden haben es von sich aus gemacht. Bei vielen hat es dazu geführt, dass die Bevölkerung auf Basis keiner vorhandenen Faktenlage abgelehnt hat“, meint der Oppositionspolitiker Raback zur Reaktion der Bevölkerung auf die Reform.

 

Werkstattbericht:

Die Daten stammen aus einem Projekt, das ich zusammen mit Heinz P. Wassermann im Sommer 2015 für den GVV gemacht habe. Alle Daten der verschiedenen Wahlen (GRW2010, GRW2015, LTW 2010, LTW2015) wurden dabei von mir zusammengetragen und in Tabellen strukturiert. Für das Datenjournalismusprojekt konnte ich so auf diese bereits vorhandenen Daten zurückgreifen und musste sie nur noch neu strukturieren, um sie verwenden zu können.

Die Visualisierung der Daten war etwas schwierig, da die von mir gewählte Plattform cartodb anfangs etwas verwirrend war und sich generell als eher instabil erwies. Auch musste bei der Verknüpfung von Daten händisch einiges nachgearbeitet und richtig gestellt werden, damit die Daten richtig angezeigt wurden. Die KML-Daten zog ich mir vom Server der Steirischen Landesregierung.

Weitere Berechnungen und Visualisierungen habe ich in Excel vorgenommen, da Google Spreadsheets, das ich zuerst verwenden wollte, um die Daten online zugängich zu machen, nicht erlaubt, datei- und tabellenübergreifend zu arbeiten und somit für meinen Bedarf nicht geeignet war.

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